Ein vielversprechendes Potenzial – und eine große Herausforderung
Die neue Studie der Fraunhofer-Institute ISE und ISI im Auftrag des Interessenverbands Transport & Environment (T&E) beleuchtet eine visionäre Möglichkeit für das Energiemanagement in Europa: Elektroautos als flexible Stromspeicher für das Netz zu nutzen, könnte nicht nur zur Reduzierung von Investitionen beitragen, sondern auch Verbraucher finanziell entlasten. Durch das bidirektionale Laden, genannt Vehicle-to-Grid (V2G), können E-Autos überschüssigen Solar- und Windstrom tagsüber aufnehmen und ihn zu Spitzenzeiten zurück ins Netz speisen. Die Fraunhofer-Forscher schätzen, dass dies den Bedarf an teuren Investitionen in das europäische Stromnetz von 2030 bis 2040 um bis zu 100 Milliarden Euro senken könnte. Damit verbunden sind mögliche Ersparnisse für Privathaushalte in Höhe von bis zu 700 Euro jährlich (Fraunhofer ISI, Fraunhofer ISE).
Der Großteil dieser Einsparungen soll durch die effiziente Nutzung bereits vorhandener Ressourcen entstehen. Das durchschnittliche Auto steht etwa 95 % der Zeit geparkt – ein enormer Leerlauf, der mit V2G ausgenutzt werden könnte. E-Auto-Besitzer könnten so zusätzlich entlastet werden, indem sie sich am Energiemarkt beteiligen und für die Nutzung ihrer Fahrzeuge zur Stabilisierung des Netzes entschädigt werden. Die Studie zeigt auf, dass ein ambitioniertes Szenario mit 50 % aller Elektroautos und elektrischen Nutzfahrzeuge im V2G-Betrieb diese Einsparungen möglich machen könnte (Publica).
Technische und logistische Hürden der Umsetzung
So faszinierend die Aussicht auf bidirektionales Laden als „Powerbank für das Stromnetz“ auch ist, der Weg dahin ist komplex und mit großen Herausforderungen verbunden. Die heutige Ladeinfrastruktur und das Stromnetz sind bei Weitem nicht auf den zusätzlichen Bedarf ausgelegt, der durch das Ein- und Ausspeisen von Millionen Elektrofahrzeugen entstünde. Ein Szenario, in dem alle E-Autos synchron Strom speichern und dann gleichzeitig ins Netz speisen, könnte die Stromnetze zu Spitzenzeiten überlasten, insbesondere morgens und abends, wenn der allgemeine Stromverbrauch ohnehin hoch ist. Die Studie nennt hierfür als Lösung „intelligentes Laden“, also eine Koordination des Ladeverhaltens, die das Gleichgewicht im Netz erhalten soll. Solche Programme erfordern jedoch komplexe technische Systeme und Softwarelösungen, die wiederum hohe Investitionen erfordern (Fraunhofer ISI).
Zudem stellt sich die Frage, wie die Mobilität der E-Auto-Besitzer gewahrt bleibt. Der Gedanke, das Auto morgens leer vorzufinden, wenn man zur Arbeit fährt, widerspricht dem grundlegenden Nutzungszweck eines Fahrzeugs. Dies stellt nicht nur ein logistisches Problem für die Verbraucher dar, sondern könnte das Konzept aus Nutzerperspektive unattraktiv machen, solange das Fahrzeug am nächsten Morgen nicht zuverlässig einsatzbereit ist.
Darüber hinaus wird deutlich, dass ohne staatliche Regulierung das finanzielle Risiko auf den Verbrauchern lasten könnte. Die Fraunhofer-Studie selbst erwähnt zwar die Möglichkeit von Vergütungsmodellen, lässt jedoch offen, wie hoch diese sein müssten, um die Anschaffungskosten und den potenziellen Verschleiß der Fahrzeugbatterie auszugleichen. Regierungen und Netzbetreiber müssten sicherstellen, dass den Bürgern keine unausgewogenen Lasten durch erhöhte Batteriekosten oder zusätzliche Wartungskosten auferlegt werden, während Energiekonzerne durch geringere Netzinvestitionen profitieren. Ohne eine faire Beteiligung der Konzerne könnte die breite Einführung von V2G daher auf Ablehnung stoßen.
Fazit: Ein theoretisches Potenzial, das Realismus verlangt
Die Fraunhofer-Studie liefert eine spannende Zukunftsvision, die Elektrofahrzeuge als flexible Kraftwerke für das Stromnetz integriert. V2G bietet zweifellos ein enormes Sparpotenzial und könnte sowohl ökonomisch als auch ökologisch wertvolle Beiträge zur Energiewende leisten. Aber die technischen und regulatorischen Hürden sind groß: Das Netz muss massiv ausgebaut, Software für intelligentes Ladeverhalten implementiert und gleichzeitig die Mobilität der Nutzer bewahrt werden. Ohne starke staatliche Regulierungen und ausgewogene Vergütungen besteht die Gefahr, dass die Kosten auf die Verbraucher abgewälzt werden, während Energieunternehmen von den Einsparungen profitieren. Ob V2G letztlich ein Gewinn für alle oder nur für einige ist, bleibt offen – und wird von der Bereitschaft aller Beteiligten abhängen, diese Hürden zu überwinden.
Quellenangaben:
- Fraunhofer ISI und Fraunhofer ISE, Informationen zur Studie auf Fraunhofer ISI / Fraunhofer ISE
- Weitere Details zur Netzinfrastruktur und V2G-Studie auf Fraunhofer ISE Webseite.
- Publikationsplattform der Fraunhofer-Gesellschaft, kritische Auseinandersetzung mit V2G und Stromnetzstabilität auf Fraunhofer Publica.
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